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rezensionen

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Schneiden sie selbst!

Das Grauen kommt nachts

Renato Polselli ist eine ganz spezielle Figur innerhalb der italienischen Filmgeschichte. Als erfolgreicher Absolvent eines Philosophiestudiums hatte er Interesse an der Natur des Menschen und den Dingen, die ihn antreiben. In den 1960er und 1970er Jahren entwickelte Polselli einen immer absurderen Inszenierungsstil, mit dem er seine Genrewerke zunehmend in entstellte Versionen des klassischen Erzählkinos verwandelte. Dabei übernahm er in der Regel nicht nur die Regie, er schrieb auch die Drehbücher und produzierte seine Werke jenseits des üblichen Geschmacks. Bei „Das Grauen kommt nachts“ imitierte Polselli das Giallo-Genre, dem er aber offensichtlich kaum etwas abgewinnen konnte. Mit flapsiger Ignoranz malträtiert er typische Motive des Genres, ohne an Spannungsaufbau, Logik oder Erzählfluss interessiert zu sein.
Alles beginnt mit einem Mord, den der Kriminalpsychologe Dr. Herbert Lyutak (Mickey Hargitay) an einer jungen Frau (Stefania Fassio) begeht. Die Polizei ist ratlos, handelt es sich doch nicht um den ersten Mord nach dem gleichen Strickmuster. Inspektor Edwards (Raul Lovecchio) grummelt in seinem spartanischen Büro missmutig herum und versucht Tatkraft vorzutäuschen. Dabei zieht er auch Dr. Lyutak zurate, der die Polizei in Verbrechensfragen berät. Doch die Ermittlungsansätze, zu denen unter anderem die verdeckt arbeitende Miss Heindrich (Katia Cardinali) beiträgt, laufen ins Leere. Es tauchen immer neue Frauenleichen auf. Ein Verdächtiger (Tano Cimarosa) muss wieder entlassen werden, weil ihm nichts nachzuweisen ist. Während Dr. Lyutak mit seiner Impotenz hadert, die ihn an einer erfüllenden Beziehung zu seiner Frau Marcia (Rita Calderoni) hindert, ermittelt der zuvor frei gelassene Verdächtige auf eigene Faust. Er glaubt den Killer zu kennen, den selbst die inkompetentesten Polizisten bislang nicht aufspüren konnten.

Wer sich die ersten und die letzten 15 Minuten von „Das Grauen kommt nachts“ ansieht, versteht die „Geschichte“ des Films genauso gut wie derjenige, der den kompletten Film betrachtet. Renato Polselli schildert keine ineinandergreifende Abfolge aufeinander aufbauender Ereignisse, mit denen ein zunächst bruchstückhaftes Bild zunehmend vervollständigt würde. Er begnügt sich mit der Präsentation diverser Einzelszenen, deren sprunghafte wie unlogische Konstruktion an den Fiebertraum eines Irren erinnert. Er verzichtet auch auf visuelle oder akustische Motive, die als eigenständige Erzählung einen roten Faden erzeugen könnten. Dadurch unterschreitet Polselli selbst das Niveau einfachster Gialli, die jenseits der Meisterwerke des Genres zuhauf gedreht wurden.
Auf Mordszenen in Zeitlupentempo – so schiebt der Mörder beispielsweise mit nachlässiger Langsamkeit ein Messer durch den Spalt einer Telefonzellentür, hinter sich eine junge Frau befindet, die in Todesangst statt der Polizei sinnigerweise irgendeine Zeitung angerufen hat – folgen Szenen, in denen sich Dr. Lyutak vor dem Spiegel selbst auf wüste Weise beschimpft. Immer wieder sind die Polizeibeamten zu sehen, die irgendeinen Blödsinn zusammenkombinieren. Beim verdeckten Einsatz der Polizistin Miss Heindrich, die den Killer anlocken soll, taucht Dr. Lyutak plötzlich auf offener Bühne auf und unterhält sich mit ihr, ohne dass sich die restlichen, im Gebüsch versteckten Ordnungshüter daran stören. Wer sich in „Das Grauen kommt nachts“ auf die Suche nach einem logischen Sinn begibt, muss scheitern. Hier regiert das Dogma des intuitiven, überfallartigen Einfalls. Es wurde gedreht und in den Film geschnitten, was gerade gefällt. Als Zuschauer wird man auf diese Weise geradezu aufgefordert, aus dem vorhandenen Material seine eigene Version zu schneiden, die mehr Sinn ergibt. Es ist beachtlich, dass trotz der wilden Montage, eine gewisse thematische Strenge nicht unter die Räder kommt.

Denn man kann Polselli nicht vorwerfen, der Film habe keine einheitliche Stimmung.
Der krankhafte Wahn des Kriminalpsychologen zwischen Impotenz, sexuellen Fantasien und Gewalt dominiert den irrsinnigen Charakter des Films. Seine impulsive Gefühlswelt, bei der er nicht mehr weiß, was in ihm vorgeht, wird zur Blaupause für den anarchischen Schnitt. Es geht um Desorientierung in einer Welt, die sich nicht mehr verstehen lässt. Im Ergebnis macht das den Film aber zu einer extrem anstrengenden Erfahrung, weil der Geist immer wieder in eine andere, kaum nachvollziehbare Richtung gerissen wird. Eine Sichtung von „Das Grauen kommt nachts“ ist harte Arbeit, Spaß macht das nicht.

Bildqualität

Die Schärfe der DVD ist sehr anständig. Hier stand offensichtlich eine gute Vorlage zur Verfügung. Natürlich machen die Konturen einen leicht weichen Eindruck, aber das bleibt absolut im Rahmen. Die Farben sehen etwas ausgebleicht aus, zeugen aber noch von der intensiven Gestaltung des Films. Vor allem die selten, aber dann besonders deutlich eingesetzten Rottöne können überzeugen. Der Kontrast ist gut.

Tonqualität

Der deutsche Monoton liegt wieder einmal in gefilterter und ungefilterter Variante vor. So kann man sich entscheiden, ob man das leichte Hintergrundrauschen haben möchte oder nicht. Auch die gefilterte Version hört sich kaum dumpfer an. Verständlich sind beide Fassungen. Für den deutschen Ton des Films wurde übrigens bei einigen Szenen eine andere Musik verwendet, als beim Original. Das munter klimpernde Klavier während einer Mordszene gehört zu den irritierenden Erfahrungen dieser Veränderung.
Der italienische Ton klingt am Natürlichsten. Er verbindet sich am besten mit dem Bild, sodass die Dialoge und die teilweise sehr psychedelische Musik gut zur Geltung kommen.

Extras

Zur italienischen Fassung des Films sprechen Pelle Felsch und Christian Kessler einen Audiokommentar, in dem sie sehr intensiv auf Renato Polselli und dessen filmisches Schaffen eingehen, ohne die italienischen Originaltitel außer Acht zu lassen. Zum Geschehen in „Das Grauen kommt nachts“ äußern sie sich nur sporadisch. Der lockere Plauderton der beiden sorgt auf jeden Fall dafür, dass man ihnen gut zuhören kann.
Als Bonus befindet sich auf der DVD mit der italienischen Schnittfassung noch die französische Sexfassung des Films. Sie enthält längere Sexszenen, die jedoch ohne Belang sind. Aus filmhistorischer Sicht ist das Vorgehen aber sehr spannend. Die Szenen stammen aus einer relativ schwachen Quelle, sodass ihre optische Qualität deutlich abfällt.
Auf der zweiten DVD befindet sich die Deutsche Vietnamfassung. Dabei handelt es sich um eine Version, für die ein Pro- sowie ein Epilog gedreht wurde. Dr. Lyutak ist Soldat in Vietnam, wird angeschossen und träumt im Todeskampf die Haupthandlung des Films. Diese Konstruktion ergibt zwar auch nur mäßig Sinn, weil unklar bleibt, wie die soldatische Grenzerfahrung einen solchen Traum hervorbringen kann, aber immerhin lässt sich so das sprunghaft-absurd-unlogische Geschehen erklären.
Ebenfalls auf der zweiten DVD ist die deutsche Kurzfassung enthalten, die dadurch auffällt, dass die Anfangsszenen nicht nächtlich abgedunkelt wurden.
Die knapp 30-minütige Rolle mit Alternativen Szenen aus der US-Fassung, die auch mit dem Vietnamplot angereichert wurde, ergänzen das reichhaltige Bonusmaterial.
Ein italienischer Fotoroman im PDF-Format, der die Handlung des Films wiedergibt, ist auf der zweiten DVD ebenfalls enthalten.
Auf der ersten DVD befindet sich noch ein knapp 15-minütiges Interview mit Renato Polselli (Regie) und Mickey Hargitay (Darsteller). Darin erläutert Polsellsi einen Teil seines Menschenbildes und schildert Hintergründe zu den Dreharbeiten und der Auswahl seiner Darsteller. Der sympathisch wirkende Hargitay bemüht sich, eine pazifistische Botschaft aus „Das Grauen kommt nachts“ herauszulesen und geht ein wenig auf seinen Weg in das Filmgeschäft ein.
Ein Promo-Trailer zum Film ist ebenfalls enthalten.
Im 12-seitigen Booklet liefert Autor Heiko Hartmann erst einen sehr wohlwollenden Verriss zu „Das Grauen kommt nachts“ ab, bevor er sich mit biografischen Details der Stabmitglieder Renato Polselli (Regie), Mickey Hargitay, Rita Calderoni und Tano Cimarosa (alle Darsteller) befasst.

Fazit

„Das Grauen kommt nachts“ kommt ohne die Stärken aus, die das klassische Erzählkino ausmachen. Hier geht es um den Wahn mit seinen irrationalen Ausprägungen. Im Ergebnis eine anstrengende Seherfahrung, weil man nie das Gefühl hat, dass hier eine lenkende Hand eingegriffen habe.

Stefan Dabrock

02.06.2014

   
Originaltitel Delirio Caldo (Italien 1972)
Länge 97 Minuten (Pal)
Studio filmArt
Regie Renato Polselli
Darsteller Mickey Hargitay, Rita Calderoni, Raul Lovecchio, Christa Barrymore, Tano Cimarosa, Marcello Bonini Olas, Katia Cardinali, Stefania Fassio, u.a.
Format 1:1,78 (16:9)
Ton Mono Deutsch, Italienisch
Untertitel Deutsch
Extras Audiokommentar von Pelle Felsch und Christian Kessler, Deutsche Vietnamfassung, Alternative Szenen der US-Fassung, „The Theaorem of Delirium“ - Interviews mit Renato Polselli und Mickey Hargitay, u.m.
Preis -
Bewertung -