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rezensionen

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03.03. Die weiße Mafia
16.02. Das Mädchen mit den schwarzen Strümpfen
11.02. Im Dutzend zur Hölle
28.01. Die Engel von St. Pauli
21.01. Die Todeskralle des grausamen Wolfes
06.01. Die Mörderklinik
12.12. Paul Temple: Jagd auf Z
27.11. Die drei Supermänner räumen auf
30.10. Die Heuchler
10.10. X 312 … Flug zur Hölle...
03.10. Das Todeslied des Shaolin
15.09. Der Koloss von Konga
26.08. Das Omen des Bösen
11.08. Menschen im Hotel
06.08. Mädchen: Mit Gewalt

kurzrezension

09.11. Return of the Warrior
30.05. Iron Sky - Director's Cut (blu-ray)
21.05. Captain Invincible oder „Wer fürchtet sich vor Amerika?“
22.04. True Justice: Angel of Death – Der Todesengel (blu-ray)

dvd

Perversion des Mannes

Die Entfesselten

Die Entfesselten

Wem bei Regisseur Gérard Pirès die drollig-harmlose Actionkomödie „Taxi“ (Frankreich 1998) einfällt, liegt zwar richtig, muss aber umdenken, um auf das rabiate Selbstjustizdrama „Die Entfesselten“ vorbereitet zu sein.
Der bürgerliche Paul Varlin (Jean-Louis Trintignant) fährt mit seiner Frau Hélène (Michéle Grellier) und der gemeinsamen Tochter Patty (Delphine Boffy) in den Urlaub. An einer Autobahnraststätte ärgert sich Varlin darüber, dass ein paar Biker seiner Frau anzügliche Bemerkungen hinterherwerfen. Nachdem er sich mit einer obszönen Geste revanchiert, beschließen die Rowdys, Varlin mitsamt Anhang auf der Autobahn zu belästigen. Die gefährlichen Fahrmanöver enden für den Familienvater schließlich im Straßengraben. Als er nach einer brutalen Abreibung durch die Biker wieder aufwacht, stellt er fest, dass Frau und Tochter vergewaltigt sowie ermordet wurden. Da die Ermittlungen keine nennenswerte Aussicht auf Erfolg haben, will Varlin das Recht selbst in die Hand nehmen. Er macht sich auf die Jagd nach den Bikern, wobei ihn seine zur Beerdigung angereiste Schwägerin Sarah (Catherine Deneuve) unterstützt.

Pirès nimmt das Anfang der 1970er Jahre populäre Bikergenre, um es für eine düstere Dekonstruktion männlicher Selbstverständnismuster zu verwenden. Der Zusammenprall zwischen Bürgertum und rebellischem Freiheitsdrang führt zu Beginn sowie im weiteren Verlauf der Handlung zu den körperlich rabiaten Szenen, die das Genre verlangt. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen werden dabei nicht für ausschweifende Brutaloorgien ausgeweidet, sondern als kurze, wuchtige Miniaturen inszeniert. Denn es geht nicht um ihren Schauwert, sondern um die Dynamik, mit der sie die oberflächliche Ordnung durchschneiden. Das gesellschaftliche Sicherheitsnetz ist binnen weniger Minuten in Fetzen gerissen, was nicht ohne Folgen bleibt.
Die amorphe Bedrohung durch die Biker, die mit ihren Helmen und gleichförmig schwarzen Klamotten wie identitätslose Boten eines pervertierten Freiheitsdranges außerhalb der Gesellschaft erscheinen, findet ihren Widerpart in der Racheperversion des bürgerlichen Die Entfesselten Widerlings. Denn Varlin entpuppt sich als fragwürdige Gestalt, der andere Menschen gerne aggressiv herunterputzt. Den persönlichen Tiefpunkt erreicht er, als er gegenüber Sarah im besoffenen Zustand zudringlich wird und sie ohne mit der Wimper zu zucken vergewaltigen würde. Männliches Rollenverhalten findet in „Die Entfesselten“ nur noch als krisengeschüttelte Perversion statt. Der Freiheitsdrang der Biker wirkt hier ebenso jämmerlich wie der rachesuchende, wutschnaubende Bürger, der eine Ordnung verteidigen will, deren Werte er selbst nicht achtet. Mit selbstbewussten Frauen können beide ebenso wenig umgehen, wie der Kellner (Claude Brasseur) in der Autobahnraststätte, an der das Unheil begonnen hat. Er sammelt intime Geräusche von Tieren und Menschen, die ihn sexuell erregen. Seine Männlichkeit kann er nur noch in der Flucht aus direkten sozialen Zusammenhängen erleben. Pirès zeichnet ein wahrhaft desillusionierendes Bild der Männer, der gesellschaftlichen Ordnung und der ihr gegenüber existierenden Rebellion.

Deren Trümmerlandschaft findet ihren stilistischen Ausdruck in der oft aggressiv-dynamischen Kameraarbeit. Bei den dramatischen Szenen greift Kameramann Silvano Ippoliti zu schnellen Bewegungen sowie teils ungewöhnlich schrägen Blickwinkeln, die durch die Montage eine hysterische Qualität bekommen. Man wird das Gefühl nicht los, das hier ein zunehmend aufgepeitschter Kampf um die eigene Rolle in der Gesellschaft geführt wird, dessen Verzweiflung die brutalen Ausbrüche hervorruft.

Bildqualität

Die Bildqualität der DVD kann sich sehen lassen. Nur wenige Defekte beeinträchtigen das verwendete Master, dessen analoges Rauschen nicht stört. Die Schärfe wechselt zwischen leicht weichen Szenen – vor allem Totalen sind betroffen – und solchen, die eine sehr ordentliche Schärfe aufweisen. Der Detailreichtum ist natürlich etwas vermindert. Die Farben wirken 1970er Jahre typisch leicht reduziert und geben die Atmosphäre des Films gut wieder. Der ausgewogene Kontrast verhindert, dass helle Bereiche überstrahlen. Insgesamt ein guter Transfer, bei dem lediglich das seltsame Bildformat von 1: 1,48 überrascht.

Tonqualität

Die Monotonspuren verfügen über gut verständliche Dialoge. Bei der deutschen Fassung ist ein deutliches Hintergrundrauschen hörbar, das aber noch im Rahmen bleibt. Darüber hinaus klingt sie dumpfer als die Originaltonspur. Nennenswerte Verzerrungen gibt es nicht.

Extras

Die Entfesselten

Das alternative Ende besteht aus einer etwa zweiminütigen Szene, die in den Handlungsablauf eingefügt wurde. In der französischen Fassung ist es nicht enthalten, es liegt deswegen nur auf Deutsch vor. Darin geht es einerseits um eine moralische Bewertung der vorangegangenen Ereignisse und andererseits schafft es eine milde Klarheit über einen kurz vorher stattgefundenen Gewaltakt. Trotz der desillusionierend deutlichen Worte verschafft es dem Film eine versöhnlichere Note, weil die Reflexion über begangene Fehler die Chance eröffnet, diese zu überwinden. Das Ende lässt sich über das Bonusmenü als einzelner Beitrag anwählen, man kann sich aber auch eine Langfassung des Films ansehen, bei der es integriert wurde.
Eine Bildergalerie ist auf der DVD ebenfalls enthalten.
Im 8-seitigen Booklet gibt Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger einen kurzen Abriss über das Bikergenre und ordnet „Die Entfesselten“ darin ein.

Fazit

„Die Entfesselten“ dekonstruiert männliche Rollenmuster im Gewand eines Bikerfilms, der die Mythologie des Genres aus den Angeln hebt. Übrig bleibt ein rasender Furor, der jedes Maß für die Mittel der Auseinandersetzung verloren hat. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

21.03.2013

   
Originaltitel L'agression (Frankreich 1975)
Länge 96 Minuten (Pal)
Studio Media Target
Regie Gérard Pirès
Darsteller Jean-Louis Trintignant, Catherine Deneuve, Claude Brasseur, Philippe Brigaud, Milena Vukotic, Franco Fabrizi, Delphine Boffy, Leonora Fani, Michéle Grellier, u.a.
Format 1:1,48 (16:9)
Ton Mono Deutsch, Französisch
Untertitel Deutsch
Extras Langfassung des Films mit integriertem alternativen Ende, Alternatives Ende, Bildergalerie, 8-seitiges Booklet
Preis ca. 20 EUR
Bewertung gut, technisch gut