Grenzenloses Wunderland

Sukeban Boy

Vielleicht hätte man als Kenner der Toei-Girl-Gang-Filme aus den 70er Jahren ahnen können, was einen bei „Sukeban Boy“ erwartet. Vielleicht waren die Leser der Manga-Serie „Oira Sukeban“, auf welcher der Film basiert, darauf vorbereitet, die Grenze zu einem Wunderland ebenso schamloser wie alberner Fetischerotik zu überschreiten. Das alles kann ich nur vermuten, denn diese Themenbereiche des Japanexamens habe ich bislang nicht studiert. Das Label Asian Film Network, welches „Sukeban Boy“ hierzulande auf DVD veröffentlicht hat, beweist indes eindrucksvoll wie sehr sich die filmische Extravaganza einer sprachlichen Erfassung verweigert:

„'Sukeban Boy' Banji Suke hat ein Problem. Obwohl er ein Junge ist, hat er das hübsche Aussehen eines Mädchens. Ständig in Straßenkämpfe verwickelt, fliegt er von jeder Schule, bis sein Vater ihn in Mädchenkleidung steckt und in einem Mädcheninternat anmeldet. Aber auch dort muss er feststellen, dass man sich einer Gruppe anschließen muss, um den täglichen Schulalltag zu überleben. Die 'Pantyhosen-Liga', die 'Kein-Büstenhalter-Gang' oder die 'Full-Strip-Liga' treten zum täglichen Fight mit 'Nippelklemmplatten', Brust,- und Beinstumpfgewehren und anderen tödlichen Waffen gegeneinander an.“

Die Inhaltsangabe ist nicht falsch – die Gang-Namen werden in den Untertiteln allerdings mit Strumpfhosen-Gang, Oben-Ohne-Gang, und Super-Nackt-Gang übersetzt -, vermittelt aber nicht ansatzweise den aberwitzigen Irrsinn der Handlung, dessen Grenze nur die Phantasie der kreativen Köpfe hinter „Sukeban Boy“ gewesen ist. Auf eine nennenswerte Dramaturgie verzichtet der Film zugunsten einer fließenden Collage aus grenzwertigen Auftritten der einzelnen Gangs. Lediglich eine rudimentäre Liebesgeschichte zwischen Banji Suke und einer Mitschülerin sowie der Konflikt zwischen Banji Suke und seinem Vater halten das Ganze ein wenig zusammen. Dazwischen inszeniert Noboru Iguchi die ganze Welt abseitig erotischer Albernheiten.

In einer Erniedrigungslektion müssen sich die neuen Mädchen einer Gang vor den anderen ausziehen, was sie mit gespielter Schamhaftigkeit auch tun, während sie ständig bekunden wie peinlich das sei. Nichts an dieser Szene ist real erfassbar. Die Schamhaftigkeit der Mädchen findet ihren Niederschlag in künstlich gespielten Gesten, die durch zaghafte, kokette Äußerungen weiter gesteigert wird. Gleichzeitig gefällt sich die Inszenierung in der bedingungslosen Zurschaustellung des niedrigen Budgets, aus dessen Not man die Tugend der Parodie gemacht hat. So trifft die Irrealität innerhalb der Szene, welche durch die Koketterie ausgelöst wird, auf die Irrealität des gesamten Films, die in der Komödie mögliche Erotisierungsstrategien wiederum ohne Rücksicht auf Verluste unterläuft. Das Ergebnis ist die Erschaffung eines Wunderlandes, in dem man sich aufgrund immer neuer Seltsamkeiten augenreibend fortbewegen kann, wobei sich entweder fassungslose Verständnislosigkeit oder jubilierende Glückseligkeit einstellen mag. Hemmungslos filmt die Kamera den Beckenbereich der Schauspielerinnen ab, die teilweise durch ihre Tritte während der Kämpfe den Blick auf den entsprechend fetischisierten Schritt – beispielsweise Strumpfhosenbekleidung – freigeben.

Solche Szenen dienen auf so offensichtliche Weise nur dem einen Zweck, entsprechende Ansichten zu produzieren, dass sie entwaffnend ehrlich sind. Die Liebhaber solcher erotischer Begierden werden deswegen auf ihren Fetisch zurückgeworfen, seine absurde, überdrehte Verquickung mit lächerlichen Kampftechniken wie dem Can-Can-Tanzkick entlarvt den lüsternen Blick und bedient stattdessen – zumindest aus westlicher Sicht - die Lust am Skurrilen. Musikalische Pipi-Langstrumpf-Zitate, Brüste, die Kugeln abschießen, oder eine panflötenuntermalte Szene, in der eine nackte Schülerin ein gegnerisches Gangmitglied mit einem Beil bearbeitet – ein bisschen Splatter ist eben auch im Film – tun das Übrige dazu. So stellt sich mit zunehmender Ansicht des Films das Gefühl ein, das man gerade als Novize dabei ist, einen kulturellen Initiationsritus zu absolvieren. Man kann nicht sagen, dass die Welt mit „Sukeban Boy“ eine bessere ist, aber ohne ihn wäre sie eine andere, ärmere Welt. In diesem Sinne bekenne ich mich zu dem japanischen Erfahrungsseminar, das sich hinter dem Film verbirgt. Jede Minute ist eine meditative Grenzerfahrung, die das Erfassungsvermögen und den Horizont des eigenen Geistes erweitert.

„Sukeban Boy“ befreit den ungeübten Zuschauer von den Fesseln der bisher eingeschränkten kulturellen Identität. Wer sich auf die Reise einlässt, durchwandert sein eigenes Land des Lächelns, seines inneren Lächelns, das diesen Film lieben wird, das mit aller Kraft lautstark „Viva Sukeban Boy“ brüllen wird!

Bildqualität

Natürlich folgen an dieser Stelle ein paar Worte zur Bildqualität. Die Schärfe entspricht dem niedrigen Produktionsbudget des Films sowie der nicht anamorphen Abtastung, so dass sie nur angenehm ist. Dafür sind keine analogen Defekte sichtbar. Die Farben überzeugen durch ihre kräftige Tönung, der Kontrast besitzt eine ordentliche Qualität, ein paar Details gehen aber verloren. Das permanente Hintergrundrauschen stört weniger als die kompressionsbedingte Bewegung innerhalb des Bildes.

Tonqualität

Die beiden 2.0-Tonspuren präsentieren rauschfreie Dialoge, die stets gut verständlich sind. Die Musik kann ihre Wirkung ebenfalls entfalten. Genre- und budgetbedingt besitzt der Ton keine besondere Dynamik.

Extras

Bonusmaterial existiert nicht.

Fazit

„Sukeban Boy“ ist Komödie, Hommage, wahnwitzige Extravaganza und Geistesdroge, die das Urteilsvermögen aushebelt, in einem. Eine Film, der sich in jedem Fall einer tauglichen Darstellung durch Worte entzieht, und deswegen das Genre als Bildermedium ernst nimmt. Technisch ist die DVD durchschnittlich.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Oira Sukeban (Japan 2006)
Länge 61 Minuten (Pal)
Studio Asian Film Network
Regie Noboru Iguchi
Darsteller Emiru Momose, Asami, Tanaka Demo, u.a.
Format 1:1,78 (4:3)
Ton DD 2.0 Deutsch, Japanisch
Untertitel Deutsch
Extras -
Preis ca. 16 EUR
Bewertung faszinierend, technisch durchschnittlich