Verbrechen und Moral

The Reckoning

Worin liegt der tiefere Sinn des Geschichtenerzählens? Warum nimmt die Kunst des Fabulierens in der Kulturgeschichte einen großen Raum ein? Paul McGuigan widmet sich solchen Fragen mit Hilfe eines Historiendramas, das zu einer Zeit angesiedelt ist, als auf den Theaterbühnen nur das Erbe der Bibel zu sehen war. Mal wurde der Sündenfall dargeboten, mal der Brudermord von Kain und Abel. Anderes galt im 14. Jh. als verwerflich, da es nicht von Gott kam. Ein Priester, der mit einer verheirateten Frau intimen Kontakt gepflegt hat, trifft auf seiner Flucht durch England auf eine Truppe fahrender Schauspieler, deren größte Erfolge schon lange zurück liegen. Er schließt sich der Truppe an, die zu dem Zeitpunkt in einem Dorf halt macht, als eine taubstumme Frau wegen Mordes an einem Jungen zum Tod durch Erhängen verurteilt wird. Verantwortlich für die Rechtsprechung ist der undurchsichtige Lord de Guise, dessen Burg über dem Dorf thront. Durch den anhaltenden Misserfolg mit der Nacherzählung biblischer Geschichten deprimiert, kommt der Chef des Schauspielerensembles auf die Idee, den aktuellen Mordfall in ein Stück umzuwandeln. Bei der Recherche stoßen der flüchtige Priester sowie der Chef der Leiter der Gruppe auf Ungereimtheiten, die an der Schuld der verurteilten Mörderin zweifeln lassen.
Paul McGuigan erzählt sein faszinierendes Drama an der Schwelle neuer Entwicklungen im Theaterbereich. Während das Erzählen der Bibelgeschichten ohne großen technischen Aufwand keinen Erfolg mehr verspricht, hat eine kleine Schauspielertruppe die Möglichkeit, mit Hilfe ihres künstlerischen Schaffens Partei zu ergreifen und ein Unrecht aufzudecken. In einer ersten Inszenierung des Ensembles, die sich an die offizielle Version der Ereignisse um den Kindsmord hält, entsteht im Publikum ein Aufruhr. Das Wissen um den gefälschten Prozess, das bis dahin durch die Macht des Herrschers und seine Garantie auf ein gesichertes Auskommen für die Bevölkerung unterdrückt wurde, bricht plötzlich aus dem Publikum heraus. Die bildliche Darstellung der Lüge schafft, was die reine Kenntnis von ihr nicht zu erreichen vermochte. "The Reckoning" bricht in diesem Sinne vor allem eine Lanze für die Erzählung lebensnaher Geschichten in den Bildermedien Theater und Film. Der buchstäbliche Spiegel, der einem vorgehalten wird, kann eine Macht entfalten, die etablierte Systeme und Konstruktionen einstürzen lässt. McGuigans Historiendrama stellt die aufklärerischen Qualitäten eines solchen Geschichtenerzählens in den Vordergrund. Manche Wahrheiten werden erst wahr, wenn man sie sieht. Natürlich impliziert das bereits die Gefahr der Propaganda, die man aber angesichts der Vorteile in Kauf nehmen muss. "The Reckoning" verknüpft seine Ode an die Fabulierkunst mit persönlichen Dramen der Hauptfiguren. Der ehemalige Priester trägt an einer Schuld aus der Vergangenheit, die ihn dazu treibt, jetzt einen moralischen Standpunkt einzunehmen. Er muss sich einmischen, um sein Gewissen zu beruhigen. Der Chef des Ensembles verhält sich demgegenüber viel zögerlicher, hat aber letztlich das Gefühl, Schuld auf sich zu laden, wenn er einfach davon läuft. In dieser Weise verschränkt "The Reckoning" seine Themen zu einem ebenso spannenden wie intelligenten Drama über den Sinn, lebensnahe Geschichten zu erzählen, Schuld und Vergebung.

Bildqualität

Die Vorlage präsentiert das Bild ohne jegliche Verschmutzungen oder Defekte. Das leichte Hintergrundrauschen wirkt sich auf die Schärfe nicht negativ aus, die ein klares und detailreiches Bild präsentiert. Lediglich Abseits vom Bildzentrum sind hier und da ganz leichte Unschärfen zu erkennen. Die Farben erscheinen kräftig und vielfältig, so dass die schnee- und dunkelheitgeschwängerte Atmosphäre perfekt zum Tragen kommt. Ein sehr guter Transfer.

Tonqualität

Die räumliche Wirkung der Tonspuren kann überzeugen. Vor allem die Musik leistet hier ganze Arbeit, aber auch einzelne atmosphärische Geräusche finden sich in allen Boxen wieder. Mit sehr guter Dynamik ertönt die ausgewogene Abmischung aus den Boxen. Die Dialoge sind klar und verständlich.

Extras

Auf einer zweiten DVD wurde das Bonusmaterial untergebracht, das aus einem dreiteiligen Making Of mit den Überschriften Story, Ausstattung, Darsteller, einem Kapitel "Behind the scenes" und Interviews besteht.
Die drei Beiträge Story (ca. fünf Minuten), Ausstattung (ca. sieben Minuten) und Darsteller (ca. vier Minuten) erschöpfen sich in Interviewausschnitten, die auch bei den Interviews wieder auftauchen und ein paar wenigen Informationen über den Aufwand beim Dreh. Insgesamt aber entweder uninteressant oder überflüssig, da doppelt vorhanden. Hinzu kommt, dass bei den Interviewsequenzen nicht einmal eingeblendet wird, wer zu sehen ist. Das ist schlecht zusammengestellt.
"Behind the scenes" (ca. 12 Minuten) zeigt unkommentierte Aufnahmen vom Set, die unaufbereitet nur wenig über den Dreh oder den Film aussagen.
Die Interviews (unter anderem mit den Darstellern Willem Dafoe und Paul Bettany, dem Regisseur Paul McGuigan und anderen an der Produktion beteiligten Mitarbeitern) sind zwischen 30 Sekunden und sechs Minuten lang. Alle wesentlichen Informationen innerhalb des Bonusmaterials über "The Reckoning" tauchen hier auf. Während die Darsteller im wesentlichen bei Werbeaussagen zum Inhalt bleiben oder die Produktionsbedingungen und den Regisseur sowie ihre Schauspielerkollegen und -kolleginnen loben, geht Regisseur Paul McGuigan auf seinen Ansatz, einen Historienfilm mit mittelgroßem Budget zu drehen, ein. In weiteren Interviews sind Informationen über den Drehort sowie das filmische Design enthalten.
Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

"The Reckoning" reflektiert mit Hilfe eines Historienstoffes Fragen über die moralische Verpflichtung künstlerischen Schaffens. Dabei integriert er die moralischen Dilemmata seiner Hauptfiguren in eine spannende Geschichte um Herrschaft und Auflehnung. Technisch ist die DVD sehr gut. Das Bonusmaterial ist für eine Doppel-DVD schwach.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel The Recknoning (GB 2003)
Länge 105 Minuten (Pal)
Studio Capelight
Regie Paul McGuigan
Darsteller Paul Bettany, Willem Dafoe, Elvira Mínguez, Vincent Cassel, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DTS 6.1 ES, DD 5.1 EX Deutsch, DD 5.1 Französisch
Untertitel Deutsch
Extras Drei Featurettes, Interviews, u.m.
Preis ca. 24 EUR
Bewertung sehr gut, technisch sehr gut