Den Faust im Nacken

Phantom of the Paradise

Für eine herausragende DVD-Edition (sehr gute Bildqualität und überzeugendes Bonusmaterial) wird dieser DVD der Gipfel verliehen.

 

Nach Jahren des Wartens sorgt das Label Capelight dafür, dass eine Lücke im Kanon deutscher Brian de Palma DVD-Veröffentlichungen geschlossen wird. Der 1974 entstandene „Phantom of the Paradise“ scheint auf den ersten Blick eine Sonderstellung im filmischen Schaffen des amerikanischen Regisseurs einzunehmen, bei genauerem Hinsehen offenbaren sich aber Themen, die im restlichen Werk ebenfalls eine Rolle spielen. Ort der Handlung ist ein parodieartig auf die Spitze getriebenes Musikbusiness-Milieu. In dieser Welt wird nur der ein Star, der sich mit dem unbestrittenen Mogul Swan einlässt. Als machtversessener Herrscher hinter den Kulissen macht Swan seine Künstler genauso schnell berühmt, wie er sie wieder fallen lässt. Denn er weiß, dass das Volk ständig neue Moden braucht, um den Fluss des Geldes ohne Unterlass zu speisen. Swans nächster Coup soll die Eröffnung des Rockmusiktheaters Paradise werden. Als sich nach dem Konzert seiner aktuellen Schützlinge „Juicy Fruits“ der Komponist Winslow Leach an die Orgel setzt und seine Faust-Kantate zum Besten gibt, hat er seine Musik für den Eröffnungsabend gefunden. Mit halbseidenen Methoden gelangt Swan an die Komposition, für deren Aufführung er ein paar frische Musiker sucht. Als Leach merkt, das er ausgebootet werden soll, will er die ungenehmigte Veröffentlichung sabotieren. Bei dem Versuch gerät Leach in eine Plattenpresse, die sein Gesicht für immer entstellt. Fortan geistert er als maskiertes Phantom mit Racheplänen umher.

Mit lässiger Hand verbindet Brian de Palma die Faust-Legende - Musikmogul Swan lässt sich den Erfolg seiner Schützlinge mit deren Seelen bezahlen, die Vertragsunterschriften bestehen aus Blut – mit einer Phantom-der-Oper-Thematik. Die Macht sowie die manipulativen Methoden der Herrscherfigur müssen De Palma am Faust-Stoff interessiert haben. In seinen Thrillern „The Fury“ (Teufelskreis Alpha, 1978), „Scarface“ (1983), „Femme Fatale“ (2002) oder zuletzt „Die schwarze Dahlie“ (2006) spielen manipulative Strukturen der Verführung eine so große Rolle, dass immer wieder Figuren auftauchen, die auf die eine oder andere Weise ihre Seele verkaufen. Insofern offeriert „Phantom of the Paradise“ eines der Grundmotive in De Palmas Schaffen in seiner reinsten Form. Die Parodie auf das glamouröse Musikgeschäft der 70er Jahre entlarvt mit seinem beißenden Humor – Paul Williams überzieht die Figur des Swan mit herrlich dekadenter Note aus Luxus und Sex – nicht nur die gelackte Verführungskunst hinter dem portraitierten Milieu, sondern steht metaphorisch für die Allgegenwärtigkeit solcher Strukturen. Das erreicht De Palma durch die absurde Zuspitzung auf grelle Figuren und Szenerien, welche das Geschehen jenseits einer exakt beobachteten Studie verorten. Insofern vermeidet er die untrennbare Übereinstimmung mit dem Musikgeschäft, welche lediglich als Kulisse für eine allgemeine Reflexion über Verführung dient. Mit filmischen Mitteln verdoppelt De Palma den Verführungskontext, indem er elegant ausgeleuchtete Bilder, opulente Sets, Kamerafahrten und ähnliche Techniken zur Manipulation des Zuschauers einsetzt. Darin liegt jedoch kein Widerspruch zu seinem kritischen Ansatz, da sich seine Filme an den intelligenten Zuschauer richten, der diese formale Verdopplung durchschaut und einzuordnen weiß.

In „Phantom of the Paradise“, der in vielfacher Hinsicht als Schlüssel zu De Palmas Schaffen funktioniert, muss der Zuschauer diese Intelligenz nicht einmal vollends aufbringen, da die ästhetische Strategie in einer Szene offen zu Tage tritt. Das Phantom beobachtet durch ein Glasdach Swan, der sich in einem Luxusbett mit einer Sängerin räkelt. Das Phantom bewundert die Sängerin seit einiger Zeit und sorgt durch Aktionen dafür, dass sie die Faust-Kantate beim großen Eröffnungsabend des Paradise singen soll. Auf einem Monitor beobachtet Swan das Phantom wie es ihn mit der Sängerin beobachtet, denn eine Überwachungskamera filmt die auf dem Glasdach kauernde Gestalt von oben, so dass die Beobachtungssituation verdoppelt wird. Der Blick Swans in seinen Monitor ist dabei identisch mit dem Blick des Zuschauers zuvor. Die Filmkamera wird durch die Überwachungskamera ersetzt und der Blick des Zuschauers als verführter Blick entlarvt. Indem De Palma die Überwachungskamera offensiv in Szene setzt, legt er seine Verführungsstrategien so offen wie selbst in „Body Double“ („Der Tod kommt zweimal“, 1984) nicht. So einfach hat es De Palma dem Zuschauer nie wieder gemacht. Gleichzeitig funktioniert die Szene als tragische Auflage des Voyeurmotivs, das in der Phantom-der-Oper-Thematik enthalten ist. Das Phantom beobachtet die Sängerin, welche es begehrt. Dadurch empfindet es eine innere Befriedigung, welche in dieser Szene unterlaufen wird, da sich die Sängerin keinesfalls einem anderen hingeben darf. So bündelt De Palma in wenigen Minuten verschiedene Motive zu einer dichten filmischen Erzählung zusammen, die ein Schlüsselwerk seines Schaffens ist.

Bildqualität

Die Bildqualität der DVD ist ausgezeichnet. Die Vorlage besitzt keinerlei analoge Defekte und sieht blitzsauber aus. Das ganz leichte Hintergrundrauschen stört in keiner Weise, da das Bild dennoch eine sehr gute Schärfe aufweist, wenn man das Filmalter berücksichtigt. Das gilt vor allem für die Nahaufnahmen, aber auch Totalen überzeugen durch eine detailreiche Darstellung. Die Farben sind kräftig und entsprechen der damaligen Optik. Der sehr gute Kontrast sorgt für ein plastisches Bild, ohne das Details verschluckt werden. Digitale Artefakte treten nicht auf.

Tonqualität

Der englische 2.0-Stereo-Ton kommt ohne Rauschen daher und besitzt eine gute Bandbreite auf den vorderen Boxen. Die Dialoge sind klar und verständlich, die Musik besitzt eine mitreißende Dynamik. Etwas schwächer fällt demgegenüber der deutsche Monoton aus, da ihm die Dynamik etwas abgeht. Außerdem klingt er synchronisationstypisch etwas heller und künstlicher als das Original. Fans tonaler Bearbeitung können sich auch noch einen englischen 5.1- oder DTS-Ton anhören.

Extras

Das Bonusmaterial auf der zweiten DVD besteht im wesentlichen aus der etwa 48minütigen Dokumentation „Paradise Regained“, die einen sehr schönen Blick zurück wirft. Brian de Palma (Regie), Paul Hirsch (Schnitt), Edward R. Pressman (Produktion), Paul Williams, William Finley, Jessica Harper, Gerrit Graham (alle Darsteller) und weitere Filmteammitglieder kommen in der sehenswerten Dokumentation zu Wort. Die Charaktere des Films bilden die thematische Perlenschnur der Erinnerungen, in denen es um eine künstlerische Einordnung des Werks, Anekdoten sowie die Projektdurchführung geht. Sehr sehenswert.

Hinter „Set-Card Rosanna Norton“ (etwa neun Minuten) verbirgt sich ein Videointerview mit der Kostümdesignerin des Films, das offensichtlich mit einer Handkamera gefilmt wurde. Norton erinnert sich an die kreative Freiheit, die sie beim Entwurf der Kostüme hatte und lässt ihren Anteil am Projekt Revue passieren. Abgesehen von der nicht ganz optimalen Produktionsqualität ebenfalls sehenswert. Ein seltsamer Werbespot mit William Finley, der eine Phantom-Action-Figur anpreist – wobei unklar bleibt, ob es die wirklich gibt – ein Teaser und ein Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Phantom of the Paradise“ vermischt mit lässiger Hand inszeniert die Faust-Thematik mit dem Phantom-der-Oper-Motiv, um mit den Mitteln einer Musikbusiness-Satire die menschlichen Charakterzüge Macht, Ruhmsucht und Voyeurismus auszuloten. Gleichzeitig nimmt De Palma die tragische Liebesgeschichte in ihrem emotionalen Kern ernst. Technisch ist die DVD ausgezeichnet, das Bonusmaterial ist zwar nicht sehr reichhaltig, dafür aber sehr gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Phantom of the Paradise (USA 1974)
Länge 88 Minuten (Pal)
Studio Capelight
Regie Brian de Palma
Darsteller Paul Williams, William Finley, Jessica Harper, George Memmoli, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DTS Englisch, DD 5.1 Englisch, DD 2.0 Englisch, DD 2.0 Mono Deutsch
Untertitel Deutsch
Extras Dokumentation „Paradise Regained”, Trailer, u.m.
Preis ca. 22 EUR
Bewertung sehr gut, technisch sehr gut