Opfer für den Frieden?

Omagh - Das Attentat

1998 hatte man sich in Nordirland schon fast darauf eingestellt, dass es mit dem Bombenterror vorbei sein könnte. Aber aus der IRA bildeten sich Splittergruppen wie die ‚Real IRA', in denen sich Hardliner zusammen fanden, die von einem Frieden nichts wissen wollten. Das nordirische Omagh wirkt ruhig, als ein Anruf vor einer 200 Kilogramm schweren Bombe warnt. Die Ortsangabe ist so unklar, dass die Polizei unwissender Weise die evakuierten Menschen geradewegs in Richtung des tatsächlichen Autobombenstandorts treibt. Unklar bleibt, ob das eine perfide Strategie der Terroristen oder schlicht Dummheit war. Unter den 29 Opfern ist auch Aiden, der Sohn des Automechanikers Michael Gallagher. Durch seine ruhige und überlegte Art wird Gallagher zum Sprecher der Hinterbliebenen, die sich in einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen haben, weil sie sich mit den schleppenden Ermittlungsergebnissen nicht abfinden wollen. Gemeinsam beginnen sie Druck auszuüben, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Und tatsächlich tauchen Hinweise auf, die vermuten lassen, dass Informationen über das geplante Attentat im Vorfeld bekannt waren und ignoriert wurden.
"Omagh" lebt ganz entscheidend von der Präsenz des Darstellers Gerard McSorleys, dessen auffälliger Charakterkopf die offenen Fragen der Hinterbliebenen in der Rolle des Michael Gallagher mit eindringlicher Ruhe repräsentiert. McSorley füllt einen Raum bereits mit seiner intensiven Ausstrahlung, bevor er den Mund geöffnet hat. Dieses Kapital macht sich Regisseur Pete Travis zu Nutze, indem der Film inszenatorisch vollständig auf McSorleys Darstellung des Michael Gallagher ausgerichtet ist. Alle anderen Figuren bleiben reine Nebenrollen, die lediglich im Falle von Michaels Frau Patsy noch ein oder zwei eindrucksvolle Szenen für sich beanspruchen können, um die psychischen Folgen des Attentats für die Hinterbliebenen zu verdeutlichen. Mit unauffälliger Handkameraarbeit folgt der Film Gallagher und seinen Mitstreitern, die sich schnell mit einem komplizierten politischen Geflecht konfrontiert sehen, das für sie keine Rolle spielt, weil sie nur Fragen haben, um die Trauerarbeit weiterführen zu können. "Omagh" widmet sich den äußerst komplexen Umständen des Attentats von der Seite der Opfer her, die im damals frischen Friedensprozess keine Stimme außer ihrer eigenen zu haben scheinen. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr politische Geflechte keinen Sinn für individuelles Leid haben. Am Friedensprozess klebt in der Interpretation des Films Blut, und zwar nicht nur das der Vergangenheit, sondern in äußerst schockierender Weise auch das der Gegenwart. "Omagh" analysiert mit dokumentarischer Schärfe die Zusammenhänge innerhalb eines Geflechts aus unübersichtlich gewordenen Interessenlagen und gibt den Opfern ihr Recht auf Anhörung. In diesem Sinne ist "Omagh" ein filmisches Pamphlet für individuelles Glück, das nicht auf dem Altar übergeordneter Interessen geopfert werden darf.

Bildqualität

Es handelt sich um eine DVD, bei der man am liebsten die fehlgeleiteten Beurteilungen derjenigen zitieren möchte, welche die Kunstform Film zu einem Standardmedium uminterpretieren wollen, bei dem der Filmemacher keine künstlerische Freiheit mehr hat. Oder anders gesagt, ein Filmemacher darf nach diesen Bewertungen keinen Film drehen, der einen rauen Look besitzt, weil körnige Bilder schlecht sind. Es sind nur noch Filme erlaubt, die dem Blockbuster-Standard entsprechen. Das bedeutet, der Film muss extrem kräftige Farben bieten, so dass auch Beerdigungsszenen am besten mit quietschbunten Bildern und bombastischer Rummelplatzmusik ausgestattet werden, um die schlechte Laune zu vertreiben, denn die ist einfach Scheiße. Alles muss gestochen scharf aussehen, sonst wurde etwas falsch gemacht. Es lebe die Gleichschaltung!
Im Ergebnis kommt "Omagh" hinsichtlich der Bildbewertung in der Regel schlecht weg. Das Gegenteil aber ist der Fall. Die DVD besitzt einen körnigen Look, reduzierte Farben, es kommt zu leichten Unschärfen und der Kontrast ist etwas zu steil. Alles, nein nicht alles, aber das meiste ist auch gut so. Regisseur Pete Travis und Produzent Paul Greengrass setzen auf eine direkte Bildsprache, welche den Atem der Straße aufgesogen hat. Das entschuldigt nicht, dass manche Szenen zu dunkel geraten sind, so dass man nicht das gesamte Geschehen erkennen kann. Aber die reduzierten Farben, die sich einer gelackten Wirklichkeit widersetzen sind zwingend notwendig für einen Film, der nicht die rosaroten Seiten des Lebens darstellen möchte. Sollen doch die Konformisten auf der Seite derjenigen mitmachen, die in Omagh alles unter den Teppich kehren wollen. Da sind sie mit ihrem zuckersüßen Ansatz richtig aufgehoben.

Tonqualität

Der deutsche 5.1-Ton ist lediglich ein überflüssiger Upmix. Ansonsten bieten die beiden 2.0-Spuren ein ständiges Hintergrundrauschen, das den dokumentarischen Charakter unterstützt. Da die Dialoge klar und verständlich sind, stört es nicht.

Extras

In einem 11minütigen Interview kommt der echte Michael Gallagher zu Wort, der sich zu verschiedenen Themen äußert - unter anderem ob es richtig war, bereits fünf Jahre nach dem schrecklichen Attentat einen Film darüber zu drehen. In gut strukturierter und sehr interessanter Weise beleuchtet er ein paar Hintergründe zur Entstehungsgeschichte des Films und erzählt etwas über die Arbeit der Omagh-Selbsthilfegruppe. Auch in der Kürze von 11 Minuten ist das Interview interessant.
Daneben enthält die DVD Texttafelinformationen über Besetzung und Stab, den Nordirlandkonflikt sowie Produktionsnotizen.

Fazit

Pete Travis ist eine eindruckvolle Analyse politischer Prozesse gelungen, die ihre hässlichen Häupter dann erheben, wenn individuelle Schicksale für das übergeordnete Wohl über Bord geworfen werden. Vor allem Gerard McSorley beeindruckt in der Rolle Michael Gallaghers, dem Sprecher der Omagh-Selbsthilfegruppe.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Omagh (GB/Irland 2004)
Länge 100 Minuten (Pal)
Studio epiX
Regie Pete Travis
Darsteller Gerard McSorley, Michèle Forbes, Brenda Fricker, u.a.
Format 1:1,78 (16:9)
Ton DD 5.1 Deutsch; DD 2.0 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Interview mit Michael Gallagher, u.m.
Preis ca. 18 EUR
Bewertung gut