Ein Schritt zu viel

Inland Empire

„Mullholland Drive“ war der grandiose Endpunkt eines filmischen Systems aus surrealem Albtraum, Angstzuständen, Identitätsvermischungen und psychologischer Düsternis, in das Regisseur David Lynch seine Figuren schleuderte, um die Grenzen der Oberfläche aufzubrechen. Der Horror, man könnte sagen die fundamentale Existenzbedrohung, lauerte unter dem Gewöhnlichen. „Inland Empire“ geht demgegenüber noch einen Schritt weiter, indem er sich nur noch den surrealen Albtraumwelten widmet. Wenn Laura Derns Hauptfigur in ihrer ersten Szene Besuch von einer älteren Nachbarin bekommt, die mit polnischem Akzent und bedeutungsschwangerer Betonung zwei Märchen als eine Art Warnung erzählt, dann hat der Film in Verbindung mit den Weitwinkelnahaufnahmen der Köpfe bereits die Ebene des Gewöhnlichen verlassen. David Lynch taucht nicht mehr in die surrealen Albtraumwelten ein, er beginnt in ihnen und verlässt sie auch nicht mehr. Die Schauspielerin, welche Laura Dern verkörpert, wird trotz der mahnenden Worte ihrer Nachbarin die Rolle in einem neuen Film annehmen, weil das ihre letzte Chance ist, die Karriere wieder in Schwung zu bringen.

Bei dem melodramatischen Stoff handelt es sich um Material, das bereits in Polen verfilmt werden sollte. Damals mussten die Dreharbeiten jedoch beendet werden, da die Hauptdarsteller ermordet wurden. Die beiden aktuellen Schauspieler lassen sich davon jedoch nicht abhalten, an dem Projekt Inland Empire weiterzuarbeiten. Was nun folgt, ist eine beispiellose Verschränkung verschiedener Handlungsebenen (u.a. Darsteller und ihre Existenz, Dreharbeiten des aktuellen Films, die Erzählung des Films). Alles fließt letztlich ineinander, indem Szenen der einen Ebene auf assoziative Weise Szenen einer anderen Ebene fortsetzen. Zum ersten Mal in Lynchs Werk bleibt das alles jedoch völlig bedeutungslos vor dem Hintergrund der Figuren, die nur noch als Chiffren des Albtraums wie zombieartige Gespenster durch das Labyrinth eines offensichtlich wahnsinnigen Schöpfers irren. Und so bleiben die formale Struktur, also die Verschränkung der vielen Ebenen, sowie die Tongestaltung die einzige Rechtfertigung dafür, das Lynch einen Film gedreht und keinen philosphischen Text verfasst hat. Neben der seltsamen Narration sorgt die Geräuschevielfalt mit ihren irritierenden Tönen für ein Gefühl des Unbehagens. Da dem Albtraum jedoch ein auch nur irgendwie gearteter Gegenpart fehlt, verfängt sich „Inland Empire“ in der selbst ausgelegten Schlinge. Er kreist schlicht um sich selbst und kann jenseits des von ihm selbst gestalteten Universums keine Bedeutung erlangen. Man könnte auch sagen, „Inland Empire“ existiert, weil „Inland Empire“ existiert. Darin erschöpft sich das Werk, das nunmehr nur Zeugnis davon ablegt, wie fatal es manchmal sein kann, innerhalb eines auf die Spitze getriebenen Konzeptes, dessen grandioser Endpunkt „Mullholland Drive“ ist, einen Schritt weiter zu gehen.

Bildqualität

Inland EmpireDavid Lynch hat seinen Film auf vergleichsweise konventionellem DV-Material gedreht (Kamera Sony DSR-PD150) und nutzt dieses für differenzierte visuelle Effekte. Mal sehen die Bilder aufgrund hyperrealistischer Schärfe ohne Bildtiefe aus wie billig herunter gekurbelte Home-Videos (gilt nur für wenige Aufnahmen), mal wirkt alles so, als sei es mit einem leichten Weichzeichner bearbeitet worden. Lynch selbst hat die Herausforderung, die das Material mit sich bringt, angenommen und in sein visuelles Konzept integriert. Die DVD reproduziert das auf sehr gute Weise, so dass hier keine Kritik angebracht ist.

Tonqualität

Der englische 5.1-Ton gibt das differenzierte Tongeflecht, mit dem Lynch seinen Film gestaltet hat, ausgezeichnet wieder. Dadurch ergibt sich eine gelungene räumliche Kulisse, welche die Wirkung des Films verstärkt, wenn man ihn denn mag. Die große dynamische Bandbreite der Tongestaltung kommt sehr gut zur Geltung. Das gilt auch für den deutschen 5.1-Ton sowie die DTS-Spur. Allerdings muss es ein großes Rätsel bleiben, warum die polnischen Passagen in der deutschen Synchronisation ebenfalls auf deutsch wieder gegeben werden.

Extras

Das Bonusmaterial besteht aus dem Trailer, Texttafelinformationen zu den Darstellern Laura Dern, Jeremy Irons, Justin Theroux sowie Regisseur David Lynch, Produktionsnotizen und einer Bildergalerie.

Fazit

„Inland Empire“ bildet ein hermetisch abgeschlossenes Albtraum-System mit einer bizarren Narration ab, für die man angesichts der formal einwandfreien Gestaltung zwar eine gewisse intellektuelle Faszination haben kann, für eine emotionale Wirkung fehlt aber jegliches Gegengewicht. Der Film genügt sich selbst als einzige Daseinsberechtigung. Technisch ist die DVD sehr gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Inland Empire (USA/Polen/Frankreich 2006)
Länge 172 Minuten (Pal)
Studio Concorde
Regie David Lynch
Darsteller Laura Dern, Justin Theroux, Grace Zabriskie, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DTS Deutsch, DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Bildergalerie, Trailer, u.m.
Preis ca. 15 EUR
Bewertung schwach, technisch sehr gut