Familienblut

The Hamiltons

Wendell Hamilton sitzt mit zwei Anhalterinnen zusammen in seinem Pritschenwagen. Der einsame Feldweg ist stockdunkel, nur wenige Augenblicke zuvor hat sich der zweitälteste Hamilton mit einer der Anhalterinnen vergnügt, während die andere draußen herumgetanzt hat. Ganz plötzlich, kurz und trocken schlägt er die beiden Frauen bewusstlos, um sie im trostlos wirkenden Keller des Hamilton-Hauses stehend anzuketten. Die anfängliche Teen-Slasher-Atmosphäre auf dem nächtlichen Feldweg schlägt unerwartet in Richtung eines Folterfilms um, ohne das im weiteren Verlauf explizite Folterszenen zu sehen wären. Die Gründe für das Treiben der Hamiltons, die bevorzugt durchreisende Opfer ohne Angehörige verschleppen, um sie im Keller gefangen zu halten, bleiben bis zur finalen Sequenz des Horrorfilms rätselhaft – Andeutungen gibt es natürlich. Und so reproduziert der Film lediglich über die schmierige sowie abgewrackte Optik des widerlichen Kellerraums die beklemmende Atmosphäre des Folterfilmgenres, während sich im schlichten, aber ordentlichen Wohnbereich darüber ein kleines Familiendrama abspielt.

Die Hamiltons bestehen aus den zwei Brüdern David und Wendell, der Schwester Darlene und dem jüngeren Bruder Francis, der noch zur Schule geht. Die Eltern sind verstorben, so dass sich die erwachsenen und minderjährigen Kinder alleine durch das Leben schlagen müssen. Gelegentlich kommt ein Sozialarbeiter vorbei, um sie zu unterstützen. Während die drei älteren Geschwister Einigkeit zeigen, übernimmt der pubertierende Francis die Rolle des Familienkritikers, der sich am liebsten von der eingefahrenen Lebensweise lossagen möchte. Vor allem die Gefangenen im Keller und die The Hamiltons damit verbundene Gewalt möchte Francis nicht mehr akzeptieren. Mit seiner Videokamera tritt er als distanzierter Chronist des Alltags auf, den er massiv ablehnt. Er ist ein Außenseiter unter Außenseitern, ohne dadurch zu einem durchschnittlichen Gesellschaftsmitglied zu werden. Stattdessen führt die emotionale Irritation zu einer Potentierung seiner Sonderstellung, aus der er auszubrechen sucht. Während seine Geschwister ihrer Umgebung Normalität vorgaukeln, um unbehelligt leben zu können, möchte Francis die Normalität tatsächlich erreichen. Er spiegelt deswegen den Konflikt zwischen der wahren Natur der Hamiltons und ihrer Außendarstellung, der für die übrigen Familienmitglieder nur auf der Präsentationsebene stattfindet, auch emotional wieder. Auf diese Weise gelingt es den Butcher Brothers, das gesellschaftliche Ideal einer standardisierten, produktiven Existenz nicht nur formal als Illusion zu entlarven, sondern mit Hilfe der Identitätskrise auch vor dem psychologischen Hintergrund der Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Menschen zu beleuchten.

Die Figurenzeichnung des Sozialarbeiters, der als fettleibiger, gemütlicher Gutmensch zwar Verständnis äußert, aber letztendlich in keiner Weise hinter die Kulissen zu sehen vermag, offenbart den bitterbösen Blick der Butcher Brothers auf standardisierte Hilfsangebote, die an den Realitäten vorbei agieren, weil sie diese gar nicht zu erkennen vermögen. Das Geheimnis der Hamlitons, dem die Butcher Brothers mit ebenso gradlinigen wie plötzlichen Gewaltausbrüchen eine beklemmende Intensität verleihen, lässt sich als Metapher für versteckte Parallelidentitäten lesen, die Ausdruck einer zunehmenden Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Ideal und Realität sind. Die Entwicklung Francis', der am Ende schließlich nur seiner wahren Natur folgt, besitzt vor diesem Hintergrund eine doppelte Tragik. Einerseits hat er die ganze Zeit versucht, einer Norm hinterher zulaufen, die letztlich eine Illusion ist, andererseits ist seine Wandlung mit einem persönlichen Verlust verbunden, der notwendig ist, um überleben zu können. Die Verbindung aus persönlichem Drama mit gesellschaftlichen Aspekten im Gewand eines finsteren Horrorfilms macht „The Hamiltons“ zu einem eindrucksvollen Genrevertreter, der das ganz Unbehagen angesichts propagierter Scheinideale in seine grimmige Metapher gießt.

Bildqualität

The HamiltonsDas Bild der DVD entspricht der produktionsbedingten Qualität der Optik, ohne dass weitere Schwächen den Sehgenuss beeinträchtigen. Der auf HD entstandene Film besitzt eine Schärfe, die zwischen gut und angenehm wechselt. Die reduzierte Farbpalette entspricht der visuellen Gestaltung des Films. Der Kontrast sorgt lediglich für eine durchschnittliche Akzentuierung der verschiedenen Bildbereiche. Die Körnigkeit einzelner Szenen geht ebenfalls auf das Konto des verwendeten Videomaterials sowie der Kamera, so dass sich die DVD selbst keinerlei Schwächen leistet.

Tonqualität

Die beiden 5.1.-Spuren liefern Im Rahmen der genrebedingten Möglichkeiten eine gute Vorstellung, so dass einzelne atmosphärische Geräusche auch mal aus den hinteren Boxen ertönen. Die Abmischung zwischen Musik und Dialogen ist ausgewogen, so dass mangels Rauschen keinerlei Verständnisschwierigkeiten auftreten. Der deutsche DTS-Ton fällt minimal druckvoller aus.

Extras

Der Audiokommentar mit den beiden Butcher Brothers Mitchell Altieri und Phil Flores (beide Regie) sowie dem Hauptdarsteller Cory Knauf bietet solide Qualität, indem die Drei einiges zu den Drehorten, den Wetterbedingungen bei der Arbeit und der Projektentwicklung erzählen sowie die Kameraarbeit und das ästhetisches Konzept beleuchten. Die zusammengeschnittenen Deleted Scenes und Bloopers sind ganz nett, bieten aber keine besonderen Höhepunkte. Zwei Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

Die Butcher Brothers fügen in ihrem Film „The Hamiltons“ Horrorelemente mit der Geschichte eines Familiendramas zusammen, das tragische Emotionen einzelner Figuren ebenso herausarbeitet, wie es über seine metaphorischen Qualitäten einen Blick auf gesellschaftliche Aspekte wirft. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel The Hamiltons (USA 2006)
Länge 83 Minuten (Pal)
Studio Sunfilm
Regie The Butcher Brothers
Darsteller Cory Knauf, Samuel Child, Joseph McKelheer, Mackenzie Firgens, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DTS Deutsch, DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Audiokommentar von den Butcher Brothers (Regie) und Cory Knauf (Darsteller), Deleted Scenes, u.m.
Preis ca. 18 EUR
Bewertung gut, technisch gut