Boxen für die Seele

Crying Fist

Das Genre des Boxerdramas transportiert stets eine mythologische Kraft, die sich aus der archaisch anmutenden Auseinandersetzung mit den Fäusten entfaltet. Menschliche Dramen erfahren deswegen immer eine zusätzliche Steigerung, wenn der Regisseur den Boxkampf als emotional wirkende Metapher für den Seelenzustand der Charaktere nutzt. Das gilt auch für „Crying Fist“, dessen Hauptfiguren die Sonnenseite des Lebens entweder nie gesehen oder sie inzwischen verlassen haben. Der eine war vor 10 Jahren Silbermedaillengewinner im Boxen bei den Asienspielen, der andere schlägt sich mit kleinen Überfällen durchs Leben. Da dem ehemaligen Boxer nur eine sehr kurze sportliche Karriere vergönnt war, kann er von seinem Erfolg nicht mehr zehren. In der Fußgängerzone bietet er sich für ein bisschen Geld als menschlichen Sandsack an. Wer seinen Frust abbauen will, ist eingeladen, mit Boxhandschuhen ausgestattet auf den ehemaligen Boxer einzuschlagen. Seine Frau verlässt ihn aus Mangel an Respekt, während der gemeinsame Sohn den Vater immer noch liebt. Die andere Hauptfigur, der Kleingangster, landet nach einem verpatzten Beutezug schließlich im Gefängnis. Hier lernt er das Boxen und findet in dem Sport einen neuen Halt. Sein Weg zu einem Meisterschaftskampf in Freiheit führt ihn schließlich zum ehemaligen Silbermedaillengewinner der Asienspiele, der es noch ein letztes Mal wissen will, um sich selbst aus dem Sumpf seiner traurigen Existenz zu befreien.

„Crying Fist“ verbindet auf geschickte Art und Weise zwei klassische Geschichten des Boxerdramagenres, indem auf der einen Seite der Werdegang eines jungen Mannes geschildert wird, der auf die schiefe Bahn gerät und durch das Boxen die gesellschaftlich notwendige Läuterung erfährt. Auf der anderen Seite steht der alte, abgehalfterte Kämpfer im Vordergrund, der sich selbst sowie seiner Umwelt noch einmal die Stärke beweisen will. Die immerwährende Auseinandersetzung zweier Generationen, welche gerade in Sportfilmen ein sehr beliebtes Muster ist, trifft zusätzlich auf zwei gängige Sozialdramen, um eine Art Superdrama zu erschaffen. Da das Drehbuch die beiden Handlungsstränge mit sorgfältiger Liebe zum Detail ausgestattet hat und Regisseur Seung-Wan Ryoo großen Wert auf genaue Beobachtungen legt, gelingt der packende Entwurf einer menschlichen Schicksalsbeschreibung, die zwar gängige Grundthemen bedient, aber mehr als einfache Klischees bietet. Szenen, in denen der ehemalige Boxer in der Schule seines Sohnes vor der versammelten Klasse seine Lebensphilosophie erläutert, die für die Kinder völlig unverständlich bleibt, oder der Kleingangster im Gefängnis seinen Vater nicht sehen will, der ihn besucht, sind erzählerische Details, die das belegen. Insofern nutzt Regisseur Seung-Wan Ryoo die bekannten emotionalen Erzählmuster als wirkungsvolle Grundlage für seine genauen Sozialdramen. Das Boxen selbst spielt dabei zwar als Grundlage eine entscheidende Rolle, in Szene gesetzt wird es aber nur selten. So gelingt Seung-Wan Ryoo der große Wurf eines mitreißenden Dramas, indem sich eine Vielzahl kleiner Geschichten zu einem Kaleidoskop menschlicher Schicksale verdichten, das ein großes Bild über das Verhältnis zwischen Boxen und Seele, Körper und Geist, Sport und sozialer Rang sowie den Generationen zeichnet.

Bildqualität

Die Bildqualität fällt recht ordentlich aus. Frei von Defekten entfaltet sich das szenische Geschehen mit einer Schärfe, die in Sachen Detailfreudigkeit Schwächen aufweist, in Nahaufnahmen gute Werte erreicht und ansonsten angenehm ist. Die Farben machen ebenso einen kräftigen Eindruck wie der ausgewogene Kontrast für ein plastisches Bild sorgt. Das leichte Hintergrundrauschen stört kaum, auch die Blockbildung bei homogenen Flächen fällt nicht nennenswert ins Gewicht.

Tonqualität

Die beiden 5.1-Spuren liefern eine räumliche Kulisse im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Genrebedingt spielen die hinteren Boxen bei den atmosphärischen Geräuschen nur eine geringe Rolle, hier muss die Musik für eine entsprechende Kulisse sorgen. Die Dialoge sind klar und verständlich, störendes Rauschen gibt es nicht.

Extras

Die Interview-Sektion enthält sechs Gespräche mit den Darstellern Min-sik Choi, Seung-beom Ryoo, Won-hie Lim, Dal-su Oh, Kil-kang Ahn und Su-hyun Kim (zusammen etwa 35 Minuten). Während sich Min-sik Choi in faszinierende, philosophische Betrachtungen über den Zusammenhang zwischen Schauspielerei und Leben hineinsteigert, berichten die restlichen Darsteller in vergleichsweise nüchterne Form über die Dreharbeiten sowie ihre Interpretation der Geschehnisse. Insgesamt handelt es sich um informative Interviews, die auch einzeln anwählbar sind. Leider wurde nur das gesprochene Wort untertitelt, die koreanischen Einblendungen blieben außen vor.

Hinter Boxszenen (etwa elf Minuten) verbirgt sich eine Langfassung des Boxkampfes zwischen dem ehemaligen Silbermedaillengewinner und dem ehemaligen Kleingangster. Besonders spektakulär ist das Material nicht und deswegen auch wenig brauchbar.

Das sehenswerte Making Of (etwa 60 Minuten) beschäftigt sich in sechs Kapiteln (Verschiedene Szenen, Im Gefängnis, Charakterisierung, Nebenrollen, Rückblick Young-jin Kim) mit Aspekten der Dreharbeiten sowie der Intention des Regisseurs. Interviewszenen und kommentiertes B-Roll-Material wechseln sich ab und vermitteln einen sehr detaillierten Eindruck über das Projekt. Besonders interessant ist eine Begebenheit beim Dreh in einer Strafanstalt, wo ein Mitarbeiter des Justizministeriums persönlich dem Filmteam versicherte, das Fesselungen, wie sie ursprünglich gedreht wurden, nur bei Gefangenentransporten, sonst aber nicht vorkommen. Das Material musste darauf neu gedreht werden.

Das Behind-the-scenes-Material (etwa elf Minuten) wurde leider nicht untertitelt und ist deswegen, da auch hier Interviewsequenzen vorkommen, völlig unbrauchbar.

Fazit

„Crying Fist“ nutzt den Boxsport als Schablone für die Inszenierung zweier Sozialdramen, die ein detailliertes Geflecht aus vielen kleinen Geschichten und die Bedeutung des Sports für die Seele entwerfen. Technisch ist die DVD ordentlich, das Bonusmaterial fällt überwiegend gut aus.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Jumeogi unda (Südkorea 2005)
Länge 117 Minuten (Pal)
Studio Splendid
Regie Seung-Wan Ryoo
Darsteller Min-sik Choi, Seung-beom Ryoo, Kil-Kang Ahn, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DD 5.1 Deutsch, Koreanisch
Untertitel Deutsch
Extras Making Of, Boxszenen, u.m.
Preis ca. 24 EUR
Bewertung gut, technisch ordentlich