Sexfilm als Kitschroman

All about Anna

Im Jahr 1998 hat Lars von Triers Produktionsfirma Zentropa das Puzzy Power Manifest aus der Taufe gehoben. Dabei handelt es sich um ein Regelwerk, dessen Anforderungen die Produktion expliziter Sexfilme auf neuem Terrain ermöglichen soll. Vereinfacht formuliert geht es darum, Pornofilme für Frauen und Paare zu drehen, die dementsprechend keine männlichen Wunschphantasien bedienen.

Im Manifest heißt es unter anderem:

Die Filme müssen Geschichten erzählen. Die einzelnen Sequenzen müssen durch ein stimmiges Geflecht aus Gefühlen, Phantasien und Leidenschaft miteinander verbunden sein, so dass die Handlungen der Akteure und ihre Beziehungen untereinander nachvollziehbar sind.

Gefühle, Leidenschaft, Lust, Intimität ... müssen nachvollziehbar sein. Die Filme müssen auf weiblichen Phantasien und Sehnsüchten basieren.

Eines der nach dem Puzzy Power Manifest gedrehten Werke ist „All about Anna“, welcher neben der Hardcore-Version auch in einer FSK16-Variante auf DVD erschienen ist. Beide Versionen unterscheiden sich dabei in der Kameraperspektive und den gewählten Bildausschnitten. Zur Rezension lag die jugendfreie Softcore-Version vor, welche das Werk stärker auf den Prüfstand stellt, als seine explizite Schwester, da die Geschichte das Geschehen mangels expliziter Reize intensiver zusammenhalten muss.

Erzählt wird eine Phase der Selbstfindung im Leben der jungen Kostümdesignerin Anna. Vor fünf Jahren wurde Anna von ihrem damaligen Lebensgefährten Johan verlassen. Mit einem Schiff zog es den Abenteurer hinaus aufs Meer und weg aus dem Leben Annas. Die zurückgelassene Frau sucht darauf ihren Spaß in unkomplizierten sexuellen Abenteuern, bis sie Frank kennen lernt, mit dem sie es ein wenig länger aushält. Doch als Johan plötzlich wieder vor ihr steht, sie Frank nicht in das freie Zimmer ihrer Wohnung ziehen lässt und es stattdessen an eine Mitbewohnerin vermietet, ist auch diese Beziehung beendet. Als sie kurz danach das Angebot erhält, an einem Pariser Theater als Kostümbildnerin zu arbeiten, nimmt sie die Gelegenheit dankend wahr, aus Kopenhagen zu verschwinden. Aber Johan geht ihr nicht aus dem Kopf.

„All about Anna“ beginnt mit den Worten Annas, die in einem Off-Kommentar erläutert: „Ein Freund sagte mit einmal: 'Jede Frau braucht drei Männer. Einen für Abenteuer und Spaß, einen für anregende Gespräche und einen für guten Sex'. Dies alles hatte ich mit Johan“. Von diesem kitschigen Paukenschlag in bester Cora-Roman-Tradition, der die Figur des verflossenen All about AnnaJohan in unerträglicher Weise idealisiert, erholt sich der Film bis zu seinem Ende nicht mehr. Das liegt vor allem daran, dass Anna ständig durch Erinnerungen an Johan geplagt wird, die nicht nur Zweifel aufkommen lassen, ob ihr der Sex mit anderen wirklich Spaß macht und sie nur zu vergessen sucht, sondern in erster Linie die Abhängigkeit der Hauptfigur von ihrem irrealen Idealbild demonstrieren. Anna hängt über die gesamte Lauflänge des Films am Gängelband Johans, der sie auch in seiner Abwesenheit dominiert, indem er ihre Phantasien nachhaltig bestimmt. Mehr als dieses durch ein paar amouröse Abenteuer kaschierte Beweinen eines Verflossenen findet nicht statt. Die Geschichte hat neben diesem sentimentalen Kitsch, in deren Zentrum der kernige, aber letzten Endes doch verständnisvolle, muskelbepackte Abenteurer Johan steht, nichts zu bieten. Insofern mag es sich um eine weibliche Phantasie handeln, wenn es denn die Sehnsucht nach einem solchen Männertypus gibt. Für die Erzählung ist das indes reines Gift, offenbart sich darin doch eine banale Schlichtheit, welche die Handlung nicht zusammen halten kann. Wenn die Forderung aus dem Manifest, dass Geschichten erzählt werden müssen, darin mündet, Gefühle in kitschigen Idealbildern aufzuheben, dann ist mit der Forderung kein Gewinn mehr verbunden. Auch im vorliegenden Sexfilm-Zusammenhang sollte der Versuch unternommen werden, differenzierte Charaktere zu zeichnen, da der Film vorgibt, gerade auch die Gefühlslage in das Geschehen einzubeziehen. Wenn sonst übliche Kompensationsmuster wie Action, Bildgewalt oder andere Inszenierungstechniken fehlen, dann ist der Rückgriff auf stereotype Klischeemuster – in diesem Fall die banale Sehnsuchtsvorstellung - fatal, da sie nun zum Inhalt des Films werden. Darin offenbart „All about Anna“ seine große Schwäche. Der Film ist eine vertane Chance.

Bildqualität

Die Bildqualität entspricht den Produktionsbedingungen und dem verwendeten Videomaterial. Dunkle Szenen sehen insofern sehr körnig aus, während das bei stärkerem Licht zurückgeht. In Verbindung mit dem Handkamerastil entsteht so ein Realismus, der einen niveauvollen Film wirkungsvoll unterstützt hätte. Es handelt sich dabei ebensowenig um eine Schwäche der DVD wie die nur angenehme Schärfe auch auf die Produktionsumstände zurückzuführen ist. Farbwiedergabe und Kontrast machen eine gute Figur. Die leichte Blockbildung und die stehenden Rauschmuster stören kaum.

Tonqualität

Der 2.0-Ton liefert eine zweckmäßige Vorstellung ohne Höhen und Tiefen ab. Die Dialoge sind klar und verständlich, die Musik kommt gut zur Geltung. Störendes Rauschen gibt es nicht.

Extras

All about AnnaDas etwa 27minütige Making Of beschäftigt sich vor allem mit den Schwierigkeiten, die mit der Sexszeneninszenierung verbunden waren, und dem Casting. Regisseurin Jessica Nilsson berichtet über ihr Anliegen, die Sexszenen als handlungstragende Elemente zu inszenieren, in denen die Geschichte weiter erzählt wird. Produzent Nicolas Barbano und Regisseurin Jessica Nilsson erzählen ausführlich etwas über die Schwierigkeiten beim Casting. Die Rollen sollten mit Schauspielern besetzt werden, da man nicht auf Amateure ohne schauspielerisches Talent und schlechte Pornodarsteller setzen wollte. Naturgemäß war es nicht leicht, Schauspieler für das Projekt zu begeistern. Das Making Of wirft einen interessanten Blick auf beide Aspekte und zeigt auch die ein oder andere Kleinigkeit, welche in der Hauptfilmfassung nicht zu sehen ist. Der Trailer rundet das Bonusmaterial ab.

Fazit

Die Idee, einen Sexfilm mit einer Geschichte zu erzählen, die eine glaubwürdige Gefühlswelt etablieren soll, scheitert an der banalen Kitschigkeit der dargestellten Liebe. So gelingt es „All about Anna“ eben nicht, dem Genre etwas Substantielles hinzuzufügen, stattdessen wird die Handlung mit idealisierten Scheingefühlen angereichert, die gegenüber einem gefühlskalten Film auch kein Gewinn mehr darstellen. Technisch ist die DVD ordentlich.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel All about Anna (DK 2005)
Länge 91 Minuten (Pal)
Studio Starmedia
Regie Jessica Nilsson
Darsteller Gry Bay, Mark Stevens, Eileen Daly, Thomas Raft, u.a.
Format 1:1,78 (4:3)
Ton DD 2.0 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras The Love-Making of „All about Anna”, Trailer
Preis ca. 10 EUR
Bewertung schwach, technisch ordentlich